Plädoyer für das NEIN-Sagen

Es gibt Sätze, die wir in der Coaching-Praxis öfter hören. Mein heutiger Satz lautet:

„In dieser Situation sage ich dann lieber nichts, weil ich nicht anecken möchte.“

Und meistens wird dieser Satz so oder so ähnlich formuliert, mitunter begleitet von einer Mischung aus Trauer und Resignation.

Wir Coaches fragen ja gerne insistent weiter und bei diesem Satz schreit es förmlich nach einer Erwiderung wie: „Und was würde passieren, wenn Sie anecken?“ „Naja, die anderen würden vielleicht merken, dass ich anders denke und eben doch nicht dazu gehöre.“ Wieder eine Einladung zum Weiterfragen: „Fühlen Sie sich denn zugehörig?“ und in diesem Falle war die Antwort ambivalent: „Tja, ja, eigentlich bin ich ja kein Geschäftsführer, wie die anderen. Aber ich bin ja beratend dabei. Also, irgendwie bin ich schon zugehörig – aber ich bin auch die einzige Frau in der Runde. Also, ich bin schon anders. Manchmal fühle ich mich insgesamt vielleicht doch nicht zugehörig.”

Dieser Dialog hat sich in meiner Praxis schon öfter so oder so ähnlich abgespielt – nicht ausschließlich bei Frauen übrigens, sondern auch bei Männern. In meinen Prozessen geht es nennenswert häufig um die Übernahme neuer Rollen, die Entwicklung in mehr und größere Führungsverantwortung oder gar Gesamtverantwortung und das Sich-Erarbeiten, Sich-Integrieren in neue Peergroups, neue Runden mit neuen „Rangfolgen“ und neuen Usancen.

Manchmal scheint die hervorgehobene Bedeutung der eigenen neuen Rolle im Unternehmen auch ein eher vorsichtiges Verhalten oder Integrieren zu erfordern. Oft muss sich ein neuer Rolleninhaber aber sehr schnell entscheiden, wie er oder sie vorgeht.

Wir beobachten, dass der Welpenschutz in einer neuen Rolle deutlich abnimmt. Die berühmten 100 Tage für die Beobachtung und Aufnahmen des Ist-Zustandes einer Funktion gibt es zwar durchaus noch. Häufig werden jedoch viel früher bereits Duftmarken oder zumindest Hinweise darauf erwartet, was von der neuen Positionsinhaberin zu erwarten ist. Dies kann sie in zusätzlichen Stress versetzen.

Das Potential, dass die eigene Performance unter der Situation leidet, entsteht besonders dann, wenn ich gleichzeitig permanent mit meinen inneren Zweifeln ins Gericht gehen muss, obwohl ich hier ja eigentlich richtig bin und etwas sagen darf. Gerade in wichtigen Meetings, Runden oder Ansprachen brauchen Sie als neue Funktionsinhaberin alle Energie, um sich selbst zu positionieren, Ihre Botschaften abgewogen zu setzen und die Standpunkte der anderen wirklich aufzunehmen und zu verarbeiten.

Mit meiner Klientin habe ich an einem Reframing gearbeitet: Sie hat ihre Funktion schließlich nach einem sehr formalen (und übrigens harten…) Auswahlprozess übernommen.  Sie kann und sollte davon ausgehen, dass sie erwünscht ist und schon aufgrund dieser Tatsache auch relevantes beizutragen hat. Wir haben vereinbart, dass sie sich in jedem Meeting vorher zwei Botschaften zurecht legt, die sie platzieren möchte. Und das klappt auch sehr gut.

Ein Satz hat ihr besonders geholfen: Im Business ist Zugehörigkeit keine demokratische Abstimmung unter den Beteiligten, sondern viel stärker eine Frage der eigenen Entscheidung.

Wenn also auch Sie in eine neue Rolle im Unternehmen kommen: Nutzen Sie Ihre Chancen und entscheiden Sie sich bewusst dafür, dass Sie ab dem ersten Tag selbstverständlich dazugehören!