Provozieren hilft – gerade bei hoffnungslosen Fällen…
Es gibt Sätze, die wir im Coaching öfter hören.
„Nein, bei meinem Chef ist da gar nichts zu machen, der ist wie er ist…“
Diesem Satz ging voraus, dass mein Klient mir mit einem hoch resignierten Tonfall berichtet hat, was sein Vorgesetzter sich wieder „geleistet“ hat an autoritärem Verhalten, Nichtbeachtung einer schwierigen privaten Situation bei einem anderen Direct Report und Gutsherrenart bei der Vergabe von Boni nach einem schwierigen Jahr. Der Beginn unserer Zusammenarbeit war ursprünglich von der Frage geprägt, wie er sich neu aufstellen muss, wenn er einen neuen Vorstand bekommt. Das schien zum damaligen Zeitpunkt anzustehen. Doch es kam anders. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sein Vorgesetzter nochmals für eine weitere Vorstandsperiode antreten würde und auch von den Aufsichtsgremien bestätigt wurde.
Das resignative Akzeptieren und traurige Beklagen von zumindest etwas aus der Mode gekommenen Führungsprinzipien seines Vorgesetzten zog sich durch unsere Arbeit. Und auch sein sichtliches Leiden darunter, sein Ringen mit einem Umgang, den er noch vor sich selbst vertreten konnte. Leicht kommt man als empathischer Coach in die Versuchung, Partei zu ergreifen und pflichtbewusst gute Vorschläge zu machen, was der Klient tun könnte. Regelmäßig sind Menschen so sehr in ihr eigenes Weltbild verstrickt, haben so viele Annahmen als wahr und alternativlos richtig abgespeichert, dass sie buchstäblich vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen, vor lauter eigener Wirklichkeit gar nicht mehr hinterfragen, ob es noch eine andere Wahrheit neben der eigenen geben könnte. Deswegen erntet man mit gut gemeinten Vorschlägen eher ein müdes Lächeln.
In diesen Fällen erinnere ich mich gerne an meine Ausbildung bei Dr. Noni Höfner zur provokativen Intervention und überlege, wie ich meinen Klienten zum aktiven Widerspruch bringen kann. Die Theorie hinter diesem Ansatz ist eine sehr interessante: Sie geht davon aus, wie wir es ja prinzipiell beim Coaching tun, dass der Klient die Lösung schon ahnt, der Zugang dazu nur verschüttet ist. Und dass der Klient aus sich heraus stark ist. Ein Ansatz (es gibt mehrere Methoden zu provozieren) der provokativen Intervention ist das gnadenlose Überzeichnen des Weltbildes bis hin zu Vorschlägen völlig absurder Möglichkeiten. In meinem Fall zeichnete ich meinem Klienten die Zukunft: Wie sehr sein Vorgesetzter jetzt agieren würde wie in einem rechtslosen Territorium und meinen Klienten immer mehr einspannen würde als willfährigen Adlatus, der einfach alles macht bzw. mit sich machen lässt, ohne zu hinterfragen, bis zur vollständigen Aufgabe jedes eigenen Willens. Schnell lächelte mein Klient und sagte, nein, so weit würde er doch nicht mitgehen und nein, das würde er natürlich nicht akzeptieren. Und ja, er hätte doch noch ein Rückgrat. Ab diesem Moment konnten wir über machbare Wege sprechen. Wie er Widerspruch einlegen oder seinen Vorgesetzten mit unschönen Realitäten konfrontieren könnte – unter vier Augen, um eine bessere Chance zu haben. Und mit einer angemessenen Erwartungshaltung.
Schauen Sie mal auf www.provokativ.com. Besonders interessant ist es, sich ein Video einer provokativen Interaktion anzusehen. Es ist wirklich erstaunlich, welche Ergebnisse diese Methode erzielen kann – vielleicht auch mit einzelnen Mitarbeitern, die gerade den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Aber Achtung: Ganz wesentlich ist, diese Methode stets mit größter Wertschätzung einzusetzen. Der Mitarbeiter muss unmittelbar verstehen, worauf man hinaus will. Und man muss gut einschätzen können, in welcher Situation und bei wem man so vorgehen kann. Meinem Klienten habe ich keinesfalls geraten, seinem Chef provokativ zu begegnen.