„Ich schaffe es einfach nicht, mich auch noch zum Austausch mit anderen Peer-Kollegen zu treffen, auch wenn ich merke, dass es gerade jetzt wichtig wäre…“
Diese Aussage höre ich öfter in meinen Einzelcoachings in vielen Varianten, zum Beispiel kürzlich wieder von einer Klientin: „Ich mache lieber zehn operative Zusatzjobs, die ich vielleicht auch delegieren könnte, statt mir Zeit zu nehmen an meiner Strategie zu feilen oder abends zum Sport zu gehen…“ Und übersetzt: Ich würde ja wollen, wenn mir da nicht immer etwas dazwischenkäme…
Als wollte uns unser Gehirn einen Streich spielen, so scheint es manchmal. Wir sind willig, aber wir lassen uns nur allzu leicht ablenken. Ob wir uns beruflich etwas vornehmen oder auch wenn es darum geht, abzunehmen, mehr Sport zu machen, die Steuererklärung zu erledigen, den unangenehmen Anruf beim Bruder endlich zu tätigen, weil etwas zu klären ist, etc.
Die tieferliegenden Gründe dafür können vielfältig sein. Umso wichtiger ist im Führungsalltag die Fähigkeit, unabhängig von diesen Gründen den Fokus zu behalten. Je besser wir die inneren Mechanismen verstehen, die uns unseren Fokus nehmen, desto schneller können wir uns selbst wieder aus unguten Gewohnheiten befreien, mit denen wir unseren Erfolg selbst sabotieren. Aber wie geht das konkret?
Indem wir uns zunächst verdeutlichen, dass unser Handeln viel stärker von Automatismen geprägt ist als wir denken. Ein Großteil dieses automatischen Verhaltens lässt sich auf das so genannte Belohnungssystem im Gehirn zurückführen. Gewohnheiten wie eben diese, Aufgaben oder ganze Aufgabenbereiche „schnell noch“ selbst zu bearbeiten, obwohl es sinnvoller wäre sie zu delegieren, folgen in der Regel Hinweisreizen, den sogenannten „Cues“. Bei einem Raucher ist der erste Kaffee am Morgen meist der Cue, der zum Anstecken der Zigarette und schlussendlich in dieser Kombination zu einer „perfekten“ Antwort im Belohnungssystem führt. Ein Cue ist also der Auslöser, um eine Handlung reflexartig zu initiieren. Dies erfolgt unbewusst, also automatisch.
Die Verbindung zwischen Auslöser (Cue) und automatischer Ausführung (Gewohnheit, Habit) führt zu einer positiven Antwort des Belohnungssystems, zu einer Befriedigung wie z.B. das Abhaken einer To-do-Liste: Wenn wir von einer Aufgabe zur nächsten springen, kann das wie ein Rausch wirken -unser Belohnungssystem applaudiert.
Die starke Verbindung zwischen Auslöser und Ausführung ist durchaus positiv zu sehen, nur dient sie eben nicht immer den eigentlich wichtigen Zielen. Wie am Beispiel des Klienten lenkt das so verfestigte Belohnungssystem von Aufgaben ab, die zwar nicht sofort, aber später einen weitaus größeren Nutzen brächten.
Warum Gewohnheiten oft unbewusst und damit automatisch erfolgen, liegt an einer weiteren Eigenart
unseres Gehirns: Es will Energie sparen, indem es sich mit Automatisierungen die Arbeit erleichtert. Diese Erleichterung wird als Belohnung wahrgenommen. Ebenso wie die Ausführung der Aufgabe per se. Der Trick ist: Eine Gewohnheit lässt sich verändern, indem man sie durch eine neue ersetzt.
Um eine Gewohnheit zu verändern, müssen wir also die dahinter liegende Systematik aus Cue und automatischer Handlung durchbrechen: Überlegen Sie einmal, welchen Routinen Sie folgen und welche Cues diese auslösen. Was sind das für Situationen, in denen Ihr Körper automatisch reagiert und Sie das Gefühl haben, kaum einen Einfluss darauf nehmen zu können. Mit bewusster Selbstaufmerksamkeit lassen sich solche inneren Belohnungssysteme und ihre Verstärker erkennen.
Also: Statt nach dem Morgenkaffee (Cue) eine Zigarette (Handlung) rauchen vielleicht besser eine ganz kurze Laufrunde. Statt zum Start in den Tag die Unterschriftenmappe (Cue) zu öffnen (Handlung) erst eine Verabredung mit einem Kollegen machen. Statt per WhatsApp (Cue) schriftlich zu antworten (Handlung) den Bruder anrufen. Und: Nutzen Sie die befriedigende Kraft der To-do- Liste: Warum nicht schon zum Anfang der Woche/ des Monats feste Zeiten blocken, in denen Sie sich mit der Nachbarabteilung austauschen, mit zwei bis drei Kollegen einen Lunch vereinbaren oder sich mit Freunden fest zum Sport verabreden. All diese Punkte können dann schon zu einem Teil der To-do-Liste werden, die Ihrem Gehirn die Arbeit erleichtern.
Eines zum Schluss: Wer es schafft, trotz vielfältiger ablenkender Handlungsreize seinen Fokus aufrecht zu erhalten, hat schon viel erreicht. Ich habe aber eingangs angedeutet, dass die Gründe für bestimmtes Verhalten, zum Beispiel sich nicht mit Kollegen verabreden oder nicht den Bruder anrufen, durchaus viel tiefer liegen können. Um die Frage, warum Sie sich so gerne ablenken lassen, kommen Sie deshalb nicht herum. Helfen kann da ein Gespräch mit Ihrem Coach – vielleicht ein guter Auftakt fürs neue Jahr?