Es gibt Sätze, die wir im Coaching öfter hören. Einer davon kam mir kürzlich wieder unter:
„Der anstehende Chefwechsel ist nicht so wichtig für mich. Den Neuen werde ich auch noch überleben.“
Mein Klient, Bereichsleiter in einem großen Finanzinstitut, hatte schon einiges erlebt in seiner langen Karriere. Und selbst der Eintritt eines neuen Chefs machte ihn schon lange nicht mehr nervös. Dachte er. Schließlich hatte er schon einige Vorgesetzte überdauert. Früher hatte er durchaus selbst Ambition für eine Vorstandsposition. Mittlerweile wusste er, dass er selbst sich eine solche Verantwortung nicht mehr zumuten würde und er ahnte, dass ihm das auch nicht mehr zugetraut wurde. Er war sich gleichwohl seiner Qualitäten für die Organisation bewusst. Sein internes Netzwerk funktionierte gut. Er hatte einige Weggefährten, die auch lange schon dabei waren. Er wusste, wie die Dinge liefen. Und eine externe Position kam für ihn ohnehin nicht mehr in Frage.
Deswegen trafen ihn die ersten Auseinandersetzungen mit dem „Neuen“ hart und unvorbereitet und sie kamen quasi sofort bei dessen Antritt. Die Botschaft war eindeutig: Hier weht jetzt ein neuer Wind, alles wird verändert, was früher war, zählt nicht mehr. Und wer nicht mitzieht, muss sich eben umorientieren.
Wenn man analysiert, wie schwierige Situationen im Berufsalltag aufkommen oder auch woran Führungskräfte scheitern, dann gehört das Thema Chefwechsel in jedem Fall und sogar an vorderster Stelle mit dazu. Eine neue Persönlichkeit als Chef/in kann das Spiel komplett verändern.
Interessanterweise kommt es in meinen Coaching-Gesprächen nennenswert häufig vor, dass ein/e Klient/in fast beiläufig von einem Chefwechsel berichtet oder auch von einem ersten Gespräch, das mit dem neuen Vorgesetzten absehbar ansteht. Und manchmal, wenn ich nachfrage: „Wie haben Sie sich denn darauf vorbereitet, auf diese erste Begegnung? Welchen Eindruck wollen Sie denn vermitteln?“, schaue ich oft in fragende Gesichter und wundere mich. Denn die Beziehung zum/r Vorgesetzten ist mehr als nur eben ein/e Chef/in, sondern in der Regel ist dies wirklich die wichtigste Achse für den eigenen Erfolg, für ein gutes Arbeitsumfeld und letztlich auch für den Seelenfrieden, den es braucht, um einen guten Job zu machen.
Nach eigenem Erleben und nach mehr als 20 Jahren Erfahrung im Coaching von Führungskräften habe ich immer wieder dieselbe Erfahrung gemacht: Ein sinnvolles Wirken ist ohne den guten Draht zum/r Vorgesetzten schlicht unmöglich, funktioniert nie und wird über kurz oder lang scheitern. Und leider ist diese Art Scheitern häufig mit Nebeneffekten verbunden, die sich auf die physische Gesundheit auswirken, sich festsetzen und nachhaltig Schaden anrichten können. Eine dauerhaft gefühlte Verachtung, Reaktanz oder Nicht-Akzeptanz des/r Vorgesetzten ist dabei nicht minder schädlich wie offene Auseinandersetzungen oder das ausgesprochene „Let‘s agree to disagree“. Und wenn es erst soweit ist mit dem Kontakt zum/r Vorgesetzten hilft es nichts, die Augen zu verschließen und abzuwarten. Dies führt meist in eine als Ohnmacht erlebte Situation oder eskaliert den eigenen psychischen Stress.
Je eher das Thema erkannt und angegangen wird, desto mehr Optionen gibt es für Lösungen, die den Schaden begrenzen oder neue Wege aufzeigen. Manchmal braucht es einen unabhängigen Dritten, um in ganz verfahrenen Situationen das Thema aufzunehmen. Manchmal ist die einzige Lösung das Loslassen. Und manchmal hilft möglicherweise eine offene Auseinandersetzung. Im oben erwähnten Fall hat mein Klient schnell reagiert, das Gespräch mit dem neuen Vorstand gesucht und gut für sich verhandelt. Und zwar nicht auf Ausscheiden oder Aufgeben der Position, sondern für eine neue Rolle, die sehr gut seinen Erwartungen entsprach, und eine Anbindung an eine andere Führungskraft.