Es gibt Sätze, die wir im Coaching öfter hören. Einer davon kam mir kürzlich wieder unter:
„Ich will mich auf keinem Fall verbiegen, wenn ich aufsteige. Ich will authentisch bleiben können, mich im Spiegel anschauen können!“
Gerade führe ich für zwei firmeninterne Empowerment-Programme viele Erstgespräche mit arrivierten Führungskräften und diese Sätze begegnen mir dabei häufiger. Überwiegend übrigens von Frauen.
Ich frage dann immer sehr genau nach, was damit wirklich gemeint ist, was die Sorge oder die Befürchtung dahinter ist. Soll es vielleicht heißen, dass das Außenherum sich bitteschön ganz auf mich einstellen und an mich anpassen soll? Oder liegt dahinter der Wunsch, ohne Veränderung durch einen Wachstumsprozess zu kommen bei gleichzeitiger Ahnung, dass es hier nah an die Persönlichkeit gehen kann? Vielleicht ist es auch die Sorge oder die Angst, selbst nolens volens „kraft des Amtes“ zu einer verkorksten, gestörten oder zumindest ganz anderen Persönlichkeit zu werden (einem Workaholic, Egomanen, Narzissten oder Besserwisser), wenn man sich vollends auf das Abenteuer „Top Management Karriere“ einlässt. Oder ist die Sorge eine Vorahnung, dass es unbequem werden könnte oder man nicht mehr gemocht wird, wenn sich unvermeidbare Nebenwirkungen des Alltages dann einstellen?
Ich bin manchmal daran erinnert, dass einige Patienten gerne den Ärzten die Schuld geben, wenn die Diagnose unangenehm ist. Oder an das schöne Zitat von Albert Einstein: „Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu belassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.“
Ein Aufstieg in die nächste Ebene ist nicht nur eine Einladung zur Veränderung – und ja genau, hier geht es um Persönlichkeitsveränderung – sondern: es ist die Verpflichtung dazu! Jede neue Rolle, jede neue Lebensphase, jede neue Umgebung verlangt uns etwas ab. Das ist der Ruf des Lebens letztlich. Ich entscheide mich für einen Weg. Dafür muss ich mich verändern. Und es wird nie wieder werden wie vorher. Verbiegen muss trotzdem nicht heißen, dass es per se schlecht, unangenehm oder unerträglich ist. „Sich verbiegen“ im guten Sinne kommt einem sinnvollen „sich stretchen“ gleich, ähnlich den unbedingt ratsamen Dehnübungen im Sport, um neues Verhalten möglich zu machen, um zu lernen und aus seiner Komfortzone zu kommen.
Deswegen ist es weder sinnvoll noch nützlich, wenn wir gerade in dem Moment authentisch bleiben wollen, in dem es darum geht, eine neue Rolle professionell zu erkunden und auszufüllen. Die Kunst liegt darin, die eigene Persönlichkeit in Einklang mit der Rolle neu zu definieren, selbst und aktiv zu gestalten. Darauf lässt es sich übrigens nur bedingt vorbereiten. Das geschieht nur on the job.